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Vorwurf der USA: Russland soll Chemiewaffen in Ukraine einsetzen
Aus HeuteMorgen vom 03.05.2024. Bild: Keystone/AP/Vadim Ghirda
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Bruch des Völkerrechts Setzt Russland Chemiewaffen im Ukraine-Krieg ein?

Die USA behaupten, dass Russland im Ukraine-Krieg mehrfach Reizgase eingesetzt hat. Auch die Ukraine hat schon ähnliche Vorwürfe erhoben. Moskau aber bestreitet einen solchen Völkerrechtsverstoss. Ralf Trapp ist Experte für Chemiewaffen. Für ihn gibt es durchaus Indizien für einen russischen C-Waffen-Einsatz im Ukraine-Krieg.

Ralf Trapp

Ralf Trapp

Experte für Chemiewaffen

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Ralf Trapp ist Chemiker und unabhängiger Berater bei der Abrüstung von Chemiewaffen. 

SRF News: Setzt Russland in der Ukraine tatsächlich Chemiewaffen ein?

Ralf Trapp: Das müsste unabhängig untersucht werden. Solche Vorwürfe gibt es aber schon seit geraumer Zeit. Einige Angaben stammen direkt aus russischen Quellen. Im russischen Fernsehen haben sich russische Soldaten dahingehend geäussert, dass nun auch chemische Reizstoffe eingesetzt würden. Offizielle Anfragen durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) an Russland wurden bisher nicht klar beantwortet. Bestätigen kann ich die Vorwürfe zwar nicht. Sie klingen aber zumindest in einigen Fällen plausibel.

USA werfen Russland Einsatz von C-Waffen vor

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Die USA werfen Russland eine Verletzung des weltweiten Chemiewaffenverbots vor. Die russische Armee habe den Kampfstoff Chlorpikrin gegen ukrainische Truppen eingesetzt, erklärte das US-Aussenministerium. Dies sei kein Einzelfall. Die russische Armee wolle damit vermutlich die ukrainischen Streitkräfte aus befestigten Positionen drängen. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) listet Chlorpikrin als verbotenen Stoff.

Russland bestreitet die Vorwürfe und besteht darauf, dass es das Chemiewaffenabkommen nicht verletzt hat. Warum kommen Sie zum gegenteiligen Schluss?

Russland hat eine Historie von Interpretationen des Chemiewaffenübereinkommens, die nicht unbedingt mit dem Gehalt des Vertrages übereinstimmen.

Es gab schon vor den aktuellen Vorwürfen Hinweise darauf, dass Russland mit der Einhaltung des Vertrages einige Schwierigkeiten hat, um es einmal so auszudrücken.

Zudem kennen wir die Vorfälle mit Einsätzen von Kampfstoffen aus der Nowitschok-Gruppe gegen russische Staatsbürger (der Kampfstoff wurde mutmasslich gegen den ehemaligen russischen Geheimdienstler Sergej Skripal und den Kremlkritiker Alexej Nawalny eingesetzt, Anm. d. Red.).

Es gab also schon vor den aktuellen Vorwürfen Hinweise darauf, dass Russland mit der Einhaltung des Vertrages einige Schwierigkeiten hat, um es einmal so auszudrücken.

Welche Tatbestände müssen erfüllt sein, um die Chemiewaffenkonvention zu verletzen?

Zunächst einmal regelt sie nicht nur das Verbot des Einsatzes von chemischen Waffen, sondern auch ihren Besitz. Grundsätzlich bedeutet jeder Einsatz eines Giftstoffs als Waffe im Krieg einen Bruch des Übereinkommens. Der Einsatz von Chemiewaffen ist international geächtet.

Die Chemiewaffenkonvention von 1992

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Das Ende des Ost-West-Konflikts machte den Weg frei für die Chemiewaffenkonvention. Nach der Verabschiedung am 3. September 1992 wurde sie 1993 unterzeichnet und trat am 29. April 1997 in Kraft. Ihr vollständiger Name lautet «Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen», kurz das Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ). Inzwischen haben das CWÜ über 190 Staaten ratifiziert.

Das Abkommen verbietet den Einsatz, die Herstellung, den Besitz und die Weitergabe von Chemiewaffen und verlangt die Vernichtung bestehender Arsenale. Anders als bei der Biowaffenkonvention wurde eine Organisation eingesetzt, die die Umsetzung der Konvention kontrolliert: die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons, OPCW). Die Organisation mit Sitz in Den Haag erhielt 2013 den Friedensnobelpreis. (Bundeszentrale für politische Bildung).

Bei den Vorwürfen an Russland geht es um den Stoff Chlorpikrin. Worum handelt es sich dabei?

Der Stoff ist bekannt als einer der ersten chemischen Kampfstoffe, der bereits im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurde. In kleineren Konzentrationen wirkt er wie ein Reizgas, vergleichbar mit Tränenreizstoffen, die im Polizeieinsatz verwendet werden. In höheren Konzentrationen ist er ein Lungengift und führt praktisch zum Ersticken der Opfer.

Ukrainische Soldaten in einem Schützengraben in der Region Donezk (März 2023).
Legende: Hat Russland im Ukraine-Krieg Chemiewaffen eingesetzt? Moskau weist die Vorwürfe von sich. Bild: Ukrainische Soldaten in einem Schützengraben in der Region Donezk (März 2023). Keystone/AP/Libkos

Wie bedeutend sind Chemiewaffen grundsätzlich in heutigen Kriegen?

Die Hoffnung war, dass sie gar keine Bedeutung mehr in Kriegen haben würden. Deswegen ist das Chemiewaffenübereinkommen auch seit 1997 in Kraft. Damit haben die Unterzeichnerstaaten die Verpflichtung übernommen, ihre Chemiewaffen und Anlagen zu deren Herstellung zu beseitigen. Eigentlich ist die Welt heute frei von Chemiewaffen – abgesehen von Staaten, die bestimmte Teile ihrer Programme nicht gemeldet haben.

Diskussionen und Anschuldigungen wie aktuell beim Krieg in der Ukraine tragen zur Wahrnehmung bei, dass Chemiewaffen wieder eine Rolle im Krieg spielen können.

Man muss aber höllisch aufpassen, dass die Versuchung nicht gross wird, sich neue Chemiewaffen zu beschaffen. Diskussionen und Anschuldigungen wie aktuell beim Krieg in der Ukraine tragen zur Wahrnehmung bei, dass Chemiewaffen wieder eine Rolle im Krieg spielen können. Auch wenn der internationale Konsens heute ist, dass es keine solche Waffen mehr geben soll.

Das Gespräch führte Martina Koch.

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SRF 4 News, 03.05.2024, 8 Uhr;

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